Wer ist Schuld bei Streit und Trennung?

Über den Umgang im Konflikt

// Alles Grün, alles schön, alles gut, dann kam der erste Streit, der zweite, der dritte…. die Trennung //

Was haben wir nur falsch gemacht?

Du bist weg Das Echo der zugeknallten Tür dröhnt in meinen Ohren. Dein letzter Satz hallt in meinem Herzen:

= …Schluss!!! Mach’s gut, ich kann nicht mehr.

Erstarrt in dieser letzten Sekunde starre ich Deinen Schritten im Treppenhaus nach. Langsam sinkt das Wissen in mich: Du bist weg.

Hast mich alleingelassen.

Allein!

ALLEIN!

Zitternd taste ich nach einer Zigarette, zünde sie an, inhaliere meine beginnende Verzweiflung, meinen Zorn. Ich atme sie aus:

~ Ach, dann geh’ halt, Du Schlampe!

Ich gehe zur Bar, schenke mir einen grossen Drink ein und beginne meine Reise in die betrunkene, denken-abstossende, vergessen-machende Nacht.

Die Reise beginnt

In meinem Traum stehe ich in einem weissen Raum. Mein älteres ich beobachtet mich, lächelt mich leise an.

= Und nun? Bist Du zufrieden?

~ Natürlich nicht! Was haut sie auch ab??? Kann sie mir denn nicht zuhören?

= Was hast Du ihr denn gesagt?_

~ Alles. Ich habe nichts verschwiegen! Wir waren immer offen und ehrlich zueinander!

Er zieht seine Augenbraue in Spock’scher Manier hoch.

~ Nun… ich habe ihr gesagt, was sie falsch macht. Offen und ehrlich!

Die Augenbraue bewegt sich nicht, bleibt hoch erhoben schweben, wartet auf mich.

~ Was ist?

= Sagtest Du nicht, dass Du sie liebst wie sie ist?

~ Aber natürlich! Ich liebe sie!!! Aber, …

= …und dann redest DU darüber, was SIE falsch macht? Muss sie sich dann nicht ändern?

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Der Wecker klingelt mich aus dem Weiss heraus. Ich bleibe liegen. Entäuscht von der Welt wende ich mich ab und noch einmal herum. Leckt mich doch alle am Arsch, ich hab’ keinen Termin, keine Anrufe, egal! Nach einer halben Stunde ergebe ich mich in den Tag und erlebe ihn als eine von vielen Arbeitsdrohnen.

Der Abend rückt näher, mit ihm die leere Wohnung, die ich im ersten Augenblick überrascht aufschließe. Langsam beginnt die Traurigkeit und Leere treibt mich wieder zu Bar, zu einer weiteren Reise der Unbewusstheit.

Die erste Regel: Streite mit dem ICH

Wieder der weisse Raum, wieder ich mit mir, so unausstehlich weise lächelnd.

~ Warum ist sie nur gegangen?

= Vielleicht, weil sie keine Zukunft sieht?

~ Aber wieso denn nur? Wir hatten keine Existenzprobleme! Wir haben sogar über Kinder gesprochen!

Diese Augenbraue! Seuzfend gebe ich auf.

~ Jaja, ich weiss: wir haben uns in letzter Zeit sehr häufig gestritten. Aber, …

= WIE habt Ihr Euch gestritten?

~ Wir haben uns angeschrien. Wir haben uns nie geschlagen, oder Dinge geworfen!!

= Worüber hast DU während des Streits gesprochen?

~ Na, darüber, was in unserer Beziehung falsch läuft, was mich an ihr so aufregt.

Ich war schon nicht mehr über die Augenbraue überrascht. Sie war einfach da, wartend, kritisierend, lauernd.

= Hast Du mehr ÜBER sie gesprochen?

Das Schweigen dehnt sich unter unserem Blick. Ich erinnere mich an die letzte und so viele andere Auseinandersetzungen. Meine Frustration, mein Verzweifeln erheben sich, flüstern in meiner Brust.

~Was machst sie auch alles falsch! Sie ist doch selber Schuld, wenn sie’s nicht schafft. Schließlich habe ich doch immer gesagt, was ich will

In einem Augenblick ist der Raum dunkel, scharz ohne Grenzen. Alleinangst läßt mich zittern, keine Wahrnehmung gibt mir festen Halt in meiner wachsenden Panik. Vibrierend atme ich ein, schrecke zusammen.

~ Hallo?

Nichts…

~ Was ist passiert? Wo bist Du?

Die Stimme kommt aus dem Nichts, fest und voller Ruhe.

= Was siehst Du?

~ Nichts. ICH KANN NICHTS SEHEN!

= Was fühlst Du?

~ Nichts. ICH KANN NICHTS FÜHLEN!

= Weisst Du, wer Du bist? WAS Du bist?

~ Ich bin ich! UND ICH BIN ALLEIN!

= Wenn Du allein bist, wieso redest Du dann über andere? Wieso gibst Du anderen die Schuld, dass Du Dich schlecht fühlst?

~ Aber sie…

Die Stimme schwillt an, wird Raum und läßt mich hilflos mit ihr schwingen.

= DU KANNST NIEMALS ÜBER ANDERE REDEN! NUR ÜBER DICH!

Ich schrecke aus dem Traum herauf. Das Sternenlicht erlaubt mir, einige graue Umrisse zu sehen. Langsam finde ich wieder zu meiner Realität zurück. Der letzte Satz trägt mich erneut in murmelnden Schlaf:

~ Ich kann nur über mich reden

Die Ausgewogenheit der Schuld

Ich beginne den Tag mit meiner Krankmeldung. Am Küchentisch suche ich meine Erinnerungen heraus, an diesen und jenen Streit, und wieviel Schuld ich ihr gegeben habe.

Schuld geben… kann man auch Schuld nehmen? Nein.

Ich kann jemanden mein Herz geben, mich geben, mein Auto, meine CDs, wasweissich. Aber Schuld? Ein Gericht ‘spricht’ schuldig, aber ist das immer gerecht?

Ich kann Verantwortung übernehmen, oder sie auch mit einer Krankschreibung abwälzen, weggeben.

Langsam beginnt die Sonne mit Ihrem Austieg in meinem Küchenfenster. Wolken treiben helle Schattenschärfe über die Wände, wie immer reagiert mein Herz darauf mit Loslassen, Lass-Gut-Sein, Sonnenschein.

Bin ich schuld, weil ich ihr nichts über mich gesagt habe?

Ist sie schuld, weil sie aktiv wurde?

Ich beginne die Worte zu finden, die ich ihr nie gesagt habe, jeden Satz mit ‘Ich’ beginnend.

Und ich höre auf, Schuld zu geben.

Im sonnendurchfluteten Zimmer setze ich mich an meinen Schreibtisch und beginne einen strahlenden Brief zu schreiben, lege meinen Zorn beiseite und stelle Fragen zu jedem Ding über uns beide.

~ Warum habe ich …?

Wie ein Kind die Welt neu entdeckt, so hoffe ich, mich neu zu finden und vielleicht auch sie.

Ich beginne den Brief:

“Ich habe Verantwortung.

Du auch.

Ich…”